Das Restaurant „Zur Kelter“ in Gablenberg

veröffentlicht am 09. Mai 2021

Ein verschwundenes Stück Alt-Gablenberg markiert das Restaurant „Zur Kelter“. Für „Stadtteil aktuell“ beschreibt der MUSE-O-Kurator Ulrich Gohl die Geschichte dieses Bauwerks.

Wir haben an dieser Stelle schon darüber berichtet, dass der damalige Junglehrer Heinz Bölstler 1954 die Arbeit „Gablenberg in Einzelbildern aus Gegenwart und Vergangenheit“ verfasst hat. Über seine Tochter kam dieses Werk nach seinem Tode zu MUSE-O.
In der zugehörigen Bildermappe ist dieses idyllisch anmutende Bild zu entdecken, das man aus heutiger Sicht örtlich kaum zuordnen kann, denn die Gegend, der heutige Schmalzmarkt, ist jetzt völlig verändert. Bis in die Mitte der 1930er-Jahre standen hier vor allem kleine Wengerterhäuschen und Schuppen. Über sie ragte das Gasthaus „Zur Kelter“ mit seinen zwei Vollgeschossen und dem ausgebauten Dachstock deutlich hinaus. Zusammen mit den beiden rechts im Bild zu erkennenden Pappeln bot es einen markanten Anblick.
Das Gebäude wurde 1863 als Wohn- und Geschäftshaus errichtet. Im ersten Stock lebte die Besitzerfamilie, im Erdgeschoss befand sich zunächst ein Lebensmittelladen. Schon fünf Jahre später wandelte ein neuer Besitzer, der Bäcker Benjamin Maser, das Geschäft in eine Wirtschaft um. Und ein Lokal blieb das Gebäude für weit mehr als ein halbes Jahrhundert – bis zum letzten Wirt August Currle. Alfred Gutenkunst berichtet in seinem Gablenberger Hausbuch, dass die Gaststätte sowohl bei Gablenbergern, als auch bei Auswärtigen sehr beliebt gewesen sei. Es galt auch zu Zeiten als Stammlokal der hiesigen Waldarbeiter.

Dieses Restaurant stand einst dort, wo sich heute der Schmalzmarkt erstreckt, vor 1935. Foto: MUSE-O


Bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts floss der Klingenbach offen vor dem Haus vorbei. Unweit plätscherte noch 1900 ein öffentlicher Brunnen, einer von elf im Ort, und das, obwohl Gablenberg seit 1896 ans Wasserleitungsnetz angeschlossen war. Viele Gablenbergerinnen und Gablenberger tranken lieber das kostenlose „eigene“ Quellwasser aus den Brunnen als das kostenpflichtige Leitungswasser, das in jener Zeit filtriertes Neckarwasser war. Damals wurde auch die vorher oft schlammige Hauptstraße befestigt, auf beiden Straßenseiten wurden Trottoirs angelegt.
Zur Gaststätte gehörten Nebengebäude. Rechts des Hauses, auf dem Bild erkennbar an der angelehnten Leiter, stand ein Wirtschaftsgebäude mit Werkstatt und Lager. Dahinter befand sich das Toilettenhäuschen – im Hauptgebäude gab es keine Wasserspülung. Zeitweilig war im Hof außerdem ein Karusell eingelagert; in einem großen, steinernen Mahltrog zerkleinerte man im Herbst Äpfel und Birnen vor dem Pressen.
Der Name des Lokals bezog sich übrigens auf ein schräg gegenüber liegendes, für den Weingärtnerort Gablenberg ganz wichtiges Gebäude mit der Hausnummer 114: die hiesige Kelter. Sie wurde schon 1405 zum ersten Mal urkundlich erwähnt und erst nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen.
Damit teilte sie, wenn auch verspätet, das Schicksal des Gasthauses und mehrerer Häuser ringsum. 1935 hatte der NSDAP-Ortsgruppenleiter Eugen Mäckle das gesamte Quartier niederlegen und die Neue Straße nach Süden verschieben lassen; auf der so geschaffenen Fläche waren das Volkshaus und ein Platz entstanden, der später so genannte Schmalzmarkt. Er hatte den örtlichen NS-Gliede¬rungen als Aufmarschplatz gedient.

MUSE-O wird institutionell gefördert vom Kulturamt der Stadt Stuttgart.
Aktuelle Informationen stets unter www.muse-o.de

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