Einmal Industrialisierung und zurück – Ausstellung „Made in Stuttgart-Ost“ im MUSE-O

veröffentlicht am 24. April 2015

Wer schon mal bei einer größeren Renovierung angepackt hat, hatte wahrscheinlich eine „Flex“ in der Hand. Zumindest dem Namen nach kennt jeder den legendären Winkelschleifer, mit dem sich vieles einfach „wegflexen“ lässt. Aber wer weiß schon, dass dieses Werkzeug im Stuttgarter Osten erfunden wurde? Es war ein Produkt der Firma Ackermann und Schmitt, die zunächst in der Hackstraße und nach dem Zweiten Weltkrieg im Kanonenweg ihren Sitz hatte.
Ein Exemplar einer ganz frühen Flex aus den 1950er-Jahren ist in der neuen Ausstellung im MUSE-O, „Made in Stuttgart-Ost“, die am 10. Mai eröffnet wird, zu sehen. Und das ist nur eines von vielen Exponaten, Fotos und „Wahnsinnsgeschichten“, auf die Ausstellungsmacher Ulrich Gohl und das Rechercheteam zu Recht stolz sind.
Dass MUSE-O mit seinen Ausstellungen und Aufrufen zur lokalen Geschichte auf große Resonanz stößt, ist nicht neu. Aber diese Mal erwies sich das Thema als noch viel ergiebiger als erwartet. Was da alles an Stoff und Objekten einging, ist in den zwei Ausstellungsräumen mit ihren rund 100 Quadratmetern Fläche gar nicht unterzubringen. Deshalb wird es zwei Ausstellungen zum Thema geben: Teil eins ist jetzt als Jubiläumsausschau zu zehn Jahren MUSE-O zu sehen und stellt 44 Firmen, von A bis Z geordnet, vor. Die zweite Runde folgt im kommenden Jahr mit weiteren Firmen – immerhin hat das Rechercheteam zu mehr als 100 Betrieben aus dem Stuttgarter Osten spannende Details entdeckt. Bis nächstes Jahr werden die Recherchen fortgesetzt, noch bestehende Wissenslücken geschlossen und weitere Geschichten gesammelt. Wie immer ist die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger gefragt: „Wir werden die Liste der Firmen, die wir vorstellen möchten, im MUSE-O auslegen“, erklärt Gohl, der offen für Ergänzungen ist.

Küenle-Elektromotoren, 1933. Slg. Küenle

Küenle-Elektromotoren, 1933. Slg. Küenle

Schon jetzt hat eine ganze Reihe von Menschen an der Entstehung der Ausstellung mitgewirkt. Sehr engagiert war das Rechercheteam bei der Sache, daneben haben mehr als ein Dutzend Bürger ihre Ideen, Unterlagen, Objekte und Geschichten beigesteuert und dafür gesorgt, dass eine waschechte „Mitmach-Ausstellung“ zustande kommt.
Die vorgestellten Firmen erzählen die Industriegeschichte des Stuttgarter Ostens. Bestand er um 1850 noch weitgehend aus Weingärtner-Dörfern, so setzte um 1880 mit rasantem Tempo die Industrialisierung ein. Schon ab 1852 war mit der Maschinenfabrik Kuhn eine erste, bald große und bedeutsame Firma vor Ort. Aber Ende des 19. Jahrhunderts sprossen die Betriebe dann an allen Ecken und Enden. Viele hatten durchgehend bis in die 1950er- oder 60er-Jahre Bestand, andere gaben nur ein kurzes Zwischenspiel. Ab den 60ern begann dann die Phase der De-Industrialisierung, in der viele Firmen eingingen oder abwanderten.

Tabakarbeiterinnen bei Waldorf-Astoria, 1913. Slg. Gohl

Tabakarbeiterinnen bei Waldorf-Astoria, 1913. Slg. Gohl

Hinter den erläuternden Texten steckt eine Menge akribischer Forschungsarbeit. Da gibt es Unternehmen, die jahrzehntelang produzierten und von denen doch so gut wie keine Informationen mehr aufzufinden sind – wie etwa „Roths Molkereimaschinenfabrik“ in der Hackstraße. Auf der anderen Seite wird eine Zündkerze der Firma Gebr. Koch ausgestellt, die nur zwei Jahre lang, von 1919 bis 1921 bestand. „Dass solche Objekte überhaupt überliefert sind, grenzt an ein Wunder“, sagt Gohl, „solche Dinge müssen einem zulaufen“ – suchen und finden könne man sie nicht.
Ein Prachtstück der Ausstellung ist ein BMW-Kühler aus den 60er-Jahren der Firma Längerer & Reich. Und auch „schräge Sachen“ sind zu entdecken: Da hat zum Beispiel ein Soldat aus der Pfarrstraße (heute Bussenstraße) bei seinem Einsatz im Kriegsgebiet 1917 quasi nebenbei Menschen auf dem Balkan fotografiert und die Motive als Postkartenserie vertrieben – zwei Originale konnte MUSE-O erwerben. Auch die beiden Stein- und Sandsteinbrüche im Bereich des heutigen Waldheims Raichberg und des Naturfreunde-Stadtheims Fuchsrain werden berücksichtigt, ebenso wie das düstere Kapitel der „Plattenfabrik Gaisburg“: Sie war das erste Zwangsarbeiterlager der Nazis in Stuttgart.

Steinbruch am Raichberg, um 1900. Slg. Blessing

Steinbruch am Raichberg, um 1900. Slg. Blessing

Eröffnet wird die Jubiläumsausstellung mit einem kleinen Festakt. Einführende Worte wird Bürgermeister Matthias Hahn sprechen.

Vernissage der Ausstellung „Made in Stuttgart-Ost“ ist am Sonntag, 10. Mai um 15 Uhr.
MUSE-O, Gablenberger Hauptstraße 130, 70186 Stuttgart
Geöffnet jeweils an Samstagen und Sonntagen von 14 bis 18 Uhr (mit weiterführenden Informationen).
Eintritt: 2 Euro, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre frei.

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