75 Jahre lang in Gablenberg fotografiert
Von 1909 bis 1984 haben Vater und Sohn Schlienz das Leben in dem östlichen Stadtteil mit ihrer Kamera verfolgt. Ein Teil ihres Nachlasses ist durch Vermittlung von MUSE-O im Stadtarchiv gelandet – eine Auswahl wird nun in einer Sonderausstellung gezeigt. Eröffnung ist am Sonntag, dem 20. August 2017.
Buchstäblich Tausende von Glasplatten, 6×6-Negativen und Kleinbildfilmen umfasst der Bestand, der auf abenteuerliche Weise in die wohlverwahrenden Hände des Archivs gelangte: Nach Ende der Betriebstätigkeit von Schlienz sollte ein Handwerker das Material entsorgen – er aber hat es gerettet: Über mehrere Zwischenschritte kam es in den Bellingweg und ist so auf Dauer gesichert. Wie wichtig das ist, zeigt ein zweiter Nachlassteil mit weiteren Glasplatten, der erst im vergangenen Jahr (!) bei einer Entrümpelungsaktion in der Petrus-Kirche vernichtet wurde.
Die Ausstellung im MUSE-O ist betont puristisch gehalten: Er gibt kurze Texte, vor allem aber zahlreiche Schwarzweißbilder an grauen Wänden, keine Inszenierung, kein Schnickschnack. Mehr als die Hälfte der Tafeln ist dem Schaffen von Schlienz sen. und Schlienz jun. gewidmet. Zu sehen sind ihre Ansichten von Gablenberg – vor allem solche aus den 1930er-Jahren, aber auch Bilder aus den 50ern. Zu einigen von ihnen hat MUSE-O-Vorstandsmitglied Michael Kunert aktuelle Vergleichsfotos angefertigt, die auf Bildschirmen in Überblendtechnik zu bewundern sind und das Maß an Veränderung zeigen.
Zu den Dorfbildern kommt eine Auswahl an Porträts, die die beiden Schlienz über Jahrzehnte von Menschen aus dem Ort gemacht haben, und zwar tatsächlich von der Wiege bis zur Bahre. Auch Vereinsfeste und Ähnliches haben die Fotografen abgelichtet; auch davon sind markante Beispiele zu sehen. Bemerkenswert ist schließlich, dass beide auch ihr Ateliergebäude und ihre Arbeit auf Platte gebannt haben – solche Bilder sind ist ansonsten kaum überliefert.
Und die Ausstellung, entwickelt von MUSE-O-Kurator Ulrich Gohl in Zusammenarbeit mit der Sachgebietsleiterin Fotoarchive beim Stadtarchiv, Heike van der Horst, stellt die Arbeit der Gablenberger Dorffotografen in den Zusammenhang. Was unterscheidet denn die Arbeit der Fotografen in der Kleinstadt, in der Vorstadt oder im Dorf von der ihrer Kollegen in der Residenz? Was und wie haben sie fotografiert? Wie sieht die soziale Wirklichkeit der oft nebenberuflich wirkenden Lichtbildner aus?
Um dies deutlich zu machen, präsentiert die Darstellung vier weitere Dorffotografen aus dem heutigen Stuttgart: Julius Berthold aus Feuerbach, Friedrich Clar aus Ostheim, Wilhelm Glemser aus Wangen und Wilhelm Schilling aus Möhringen. In je einer Kurzbiografie und einigen Bildern werden sie fassbar – und vergleichbar. Auch dem damals Aufsehen erregenden „Stuttgarter Photographen-Boykott“ des Jahres 1912 ist eine eigene Tafel gewidmet.
Damit auch der Spaß nicht zu kurz kommt, haben sich die MUSE-O-Leute etwas Besonderes einfallen lassen. Es gibt zwei „Fotoateliers“; in einem steht ein historisches Porträtfoto in Menschengröße mit ausgesägten Gesicht, im anderen eine schöne, große Gablenberger Ortsansicht. Wer mag, lässt sich hier mit einer Polaroid-Kamera fotografieren und trägt das Bild stolz nach Hause. Handybesitzer können natürlich auch ein Selfie vor historischer Kulisse fertigen.