Das Rathaus von Gablenberg

veröffentlicht am 12. April 2021

Kaum ein Gebäude hierorts hat so unterschiedlichen Zwecken gedient wie das Rathaus. Der MUSE-O-Kurator Ulrich Gohl beschreibt die Geschichte dieses Bauwerks.

Wir haben an dieser Stelle schon davon berichtet, dass der damalige Junglehrer Heinz Bölstler 1954 eine Arbeit mit dem Titel „Gablenberg in Einzelbildern aus Gegenwart und Vergangenheit“ verfasst hat. Über seine Tochter kam dieses Werk nach seinem Tode in die Sammlung von MUSE-O.
Im zweiten Band, der Bildermappe, fällt ein auf das Jahr 1954 datiertes Foto besonders ins Auge. Es zeigt ein Gebäude, das durchaus Würde ausstrahlt – offizielle Adresse: Gablenberger Hauptstraße 79. Als es 1869/70 erbaut wurde, gehörte es zu den eindrucksvollsten Bauwerken in Gablenberg – mit seiner schieren Größe, aber auch mit dem auffallenden Portal. Die einfachen Weingärtner und Handwerker wohnten damals meist in zweistöckigen Häuschen, in denen ein Wirtschaftsraum das Erdgeschoss und der über eine seitliche Treppe erreichbare erste Stock die karge Wohnung aufnahm.
Doch zurück: Im Erdgeschoss des „Gemeindehaus“ oder „Rathaus“ genannten Gebäudes waren von Anfang an die Polizeistation und das „Ortsarrest“ genannte Dorfgefängnis untergebracht. Auf dem Foto ist das sehr viel später angebrachte, beleuchtete Stechschild „Polizeiwache“ zu erkennen.
Im 1. Stock „residierte“ der Schultheiß, dort hatte er sein Beratungszimmer. Ähnlich wie der Amtsträger in Heslach kamen ihm hier nur sehr eingeschränkte Kompetenzen zu; da Gablenberg schon immer zu Stuttgart gehörte, wurde es weitgehend von dort aus verwaltet. Die „Gemeindeverwaltung“ des Vorortes bestand im Jahre 1900 – neben dem Schultheißen – aus zwei „Geschworenen“ oder Beisitzern, drei „Polizeidienern“, die für die öffentliche Sicherheit zuständig waren, einem Amtsdiener oder Ausscheller, der die amtlichen Mitteilungen bekannt machte, und einem Waldschützen oder Forstwart. Das musste genügen. In Zeiten großer Schulraumnot wurden die Besprechungszimmer teilweise auch als Schulräume genutzt. Zeitweise wohnten hier auch die beiden Diakonissinnen.

Mit durchaus städtischem Gepräge: das ehemalige Gablenberger Rathaus, fotografiert 1954.


Im 2. Geschoss befanden sich Wohnungen. Hier lebten meist die Lehrer oder die Schutzleute.
Das Jahr 1902 brachte eine Wende in der hiesigen Gemeinde – und im Rathaus. Der angesehene Schultheiß Johann Jakob Krämer starb. Die Stadt hob sein Amt auf und übernahm die gesamte Verwaltung. Dadurch wurden die Räume im 1. Stock frei; hier zogen nun die Meldestelle und die Diakoniestation ein. Einige Jahre später gab es auch im 2. Obergeschoss Veränderungen: Die Wohnungen wurden in die Arztpraxis von Dr. Max Obermeyer mgewandelt. Das entsprechende Emaille-Schild ist auch noch auf der Aufnahme aus den 1950ern zu erkennen.
Und drei weitere Funktionen musste das Gebäude im Laufe der Zeit übernehmen. Von 1901 bis 1935 war in der Straße davor die Bodenwaage eingelassen. In einem Türmchen auf dem Gebäude hing bis zum Ersten Weltkrieg eine kleine Glocke, mit der vor Feuer und anderen Katastrophen gewarnt werden konnte. Eine ähnliche Rolle hatte die 1938 auf dem Dach angebrachte Sirene.
Ende der 1970er-Jahre wurde nach und nach die ganze Bauzeile vom „Schlössle“ an der Ecke zur Schlösslestraße bis zum ehemaligen Rathaus abgerissen. An ihrer Stelle entstand der noch immer bestehende Block der damaligen Girokasse, der heutigen LBBW.

MUSE-O wird institutionell gefördert vom Kulturamt der Stadt Stuttgart.
Aktuelle Informationen stets unter www.muse-o.de

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