Den „Draußenhockern“ auf der Spur

veröffentlicht am 19. Juni 2022

Waren einst in der pietistisch geprägten württembergischen Residenzstadt die Gartenwirtschaften verpönt – oder hat es sich vielleicht ganz anders verhalten? Das ist nur eine der Fragen, denen die neue Ausstellung im MUSE-O auf den Grund geht. „Draußensitzen – 300 Jahre Gartenwirtschaften in Stuttgart“ verspricht überraschende Antworten und Er-kenntnisse. Vernissage ist am Sonntag, 24. Juli um 15 Uhr.

Historiker Ulrich Gohl hat mal wieder ordentlich gegraben in alten Dokumenten und dabei die früheste Erwähnung zweier Stuttgarter Gartenwirtschaften gefunden: Das war um das Jahr 1725, doku-mentiert, weil sich Pfarrer über diese Lokale beschwerten. „Die waren übel beleumundet“, sagt Gohl: Glücksspiel und Séparées gab es dort.
Im 19. Jahrhundert nahm die Freiluftgastronomie dann einen großen Aufschwung. Ausflugsgaststätten, bewirtete Innenhöfe, Vereinsheime vom Sänger- bis zum Schützenheim, Brauereigärten oder Lokale bei den Mineralbädern in Cannstatt und Berg boten Speis und Trank im Freien an.

Restaurant Uhlandshöhe, Sammlung Unglaub, um 1900

Im frühen 20. Jahrhundert kamen dann die Arbeiterwaldheime hinzu, die es so nur hier gibt. Wobei in Schwaben damals durchgängig von Gartenwirtschaften die Rede war. Der Begriff „Biergarten“ ist erst seit den 1980er-Jahren bei uns gebräuchlich, eingeführt durch die massive Weißbierwerbung.
Die Stuttgarter waren von jeher nicht zurückhaltender als andere Landesteile, ja sie waren sogar „berüchtigt als Draußenhocker“, wie Ulrich Gohl verrät. Schon die Vielzahl der Gartenwirtschaften sei beeindruckend gewesen. Und der 1907 verstorbene Volksdichter Eduard Paulus schrieb gar in einem Gedicht, das Florenz, München und Stuttgart vergleicht, über die Schwabenhauptstadt:
„An den Bergen hangen Gärten,
Blechmusik durchdröhnt die Nacht,
Und hier sitzt der Kern des Volkes
Und benebelt sich mit Macht.“

Dem entspannten Draußenhocker bot sich ein herrlicher Blick über Stuttgart von der offenen Terrasse des Restaurants im Sünder, Diemershaldenstraße/Ecke Stafflenbergstraße. Postkarte, verschickt 1913. Sammlung: Gohl

Vorarbeiten zu dem Thema gab es kaum, aber dafür umso mehr verstreutes Material – in abgelegener Literatur, aber auch von vielen Unterstützern zugetragen. Aus dem reichen Bildmaterial hat Gohl rund 200 Abbildungen ausgewählt, vor allem Postkarten und Fotos. Auf etwa zwei Dutzend Bildtafeln ist das Draußensitzen unter chronologischen und unter thematischen Vorzeichen aufberei-tet. Zu sehen sind aber auch auf einem Bildschirm passende kleine Fernsehfilme aus den 1960er- bis 1980er-Jahren.
Damit sind die Wände des MUSE-O belegt. Mitten im Raum befinden sich die handfesten Objekte: das, worauf man in der Gartenwirtschaft saß oder sitzt, von den ersten einfachen Bänken – aus vier Pfosten und einem Brett gezimmert – über Klappstühle und Biertischgarnituren bis hin zum Spaghettistuhl oder einem modernen Lounge-Möbelstück. Hier dürfen, ganz untypisch für ein Museum, die Besucherinnen und Besucher gerne ihre mitgebrachten Speisen und Getränke zu sich nehmen. Und an mehreren Tagen wird die MUSE-O-Gastronomie nicht nur im Lokal und im Hof, sondern auch in den Schauräumen im ersten Stock bewirten.

Draußensitzen. 300 Jahre Gartenwirtschaften in Stuttgart. Eine MUSE-O-Ausstellung.
MUSE-O, Gablenberger Hauptstr. 130, 70186 Stuttgart
24. Juli bis 23. Okt. 2022, Eröffnung So., 24. Juli, 15 Uhr
Geöffnet Sa, So 14-18 Uhr
Eintritt: € 2,-, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre frei

Aktuelle Informationen stets unter: www.muse-o.de
MUSE-O wird institutionell gefördert vom Kulturamt der Landeshauptstadt Stuttgart


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